Ein Gespräch mit Prof. Dr. Rudolf Hickel
Prof. Dr. Rudolf Hickel wird beim Sozialgipfel Nordrhein Westfalen (NRW) an der Podiumsdiskussion am 07.05.2016 in Düseldorf zum Thema „Demokratie & Klassenkampf: DIE LINKE im Landtag“ teilnehmen. Bis September 2009 war er Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen. Er gehört zu den angesehensten Vertretern nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik in Deutschland, argumentiert für den Mindestlohn und gegen den „Casino-Kapitalismus“. Mit Mitarbeitern der Redaktion LINKSLETTER (LL) in NRW hat er im Vorfeld des Sozialgipfels über Klassenkampf, soziale Schutzrechte und LINKE Politik gesprochen.
LL: Sehr geehrter Prof. Dr. Rudolf Hickel, beim Sozialgipfel NRW nehmen Sie zusammen mit Gabriele Schmidt von ver.di, Alexis Passadakis von attac und Özlem Alev Demirel von der Linken teil an einer Podiumsdiskussion zum Thema „Demokratie & Klassenkampf: DIE LINKE im Landtag“. Wie sehen Sie Ihre Rolle dabei?
Prof. Dr. Hickel: Die Diskussion ist ungemein wichtig. Die Demokratie ist von mehreren Seiten massiv bedroht. Ich konzentriere mich auf die Wirtschaft und Politik. Die vorherrschende Wirtschaft versucht immer wieder die wenigen Ansätze zur demokratischen Gestaltung des Wirtschaftens durch Mitbestimmung zu verhindern. Dazu gehört auch der Ausstieg aus der Tarifbindung, mit der die Gewerkschaften geschwächt werden sollen. Die Regierungspolitik im Bund ist dabei, mit TTIP auch den demokratischen Rechtsstaat durch eine Schiedsgerichtsbarkeit für die Großkonzerne auszuzuschalten. Überlagert wird die Entwicklung in Deutschland durch steigende Ausländerfeindlichkeit, die die Demokratie bedroht.
LL: Was denken Sie über den Begriff Klassenkampf – passt der noch, um die heutige Entwicklung zu beschreiben?
Prof. Dr. Hickel: Der Begriff Klassenkampf ist provokant. Verlangt ist notwendige Aufklärung. Dabei zeigt sich ein Widerspruch: Während die abhängig Beschäftigten mit ihren Gewerkschaften den Klassenkampf kaum noch führen, dominiert der Klassenkampf durch die Wirtschaftsmächtigen. Dieser Klassenkampf von oben gefährdet Demokratie und soziale Schutzrechte. Diesen zu entlarven und zu kritisieren ist unsere Aufgabe.
LL: Sehen Sie einen Widerspruch zwischen der Absicht, sich im „Klassenkampf“ auf die Seite der Ausgebeuteten zu stellen und dem Anspruch, eine demokratische Partei zu sein?
Prof. Dr. Hickel: Was heißt heute Klassenkampf durch die Ausgebeuteten? Von der Klasse zu sprechen, gilt als antiquiert. Sicherlich ist hier Differenzierung dringend erforderlich. Aber es bleibt dabei, die Abhängigkeit vom Kapital nimmt zum Teil mit schwer durchschaubaren Instrumenten zu. Es geht darum, die demokratischen Rechte einzufordern, und den „Block an der profitwirtschaftlichen Macht“ zurückzudrängen. Das ist zutiefst der Auftrag des Grundgesetzes, das auch auf die Stärkung der demokratischen Basis setzt.
LL: In politischen Diskussionen hört man immer wieder, wenn man Reiche und erfolgreiche Unternehmen stärker belaste, wären weniger Investitionen, weniger Arbeitsplätze und mehr Steuerflucht die Folgen. Wie schätzen Sie das ein?
Prof. Dr. Hickel: Das ist die neoliberale, neoklassische Unwahrheit. Die Umverteilung zugunsten der Profite und Reichen führt nicht zu mehr Investitionen in Arbeitsplätze. Vielmehr erfolgt die Flucht auf die Finanzmärkte auch mit vielen illegalen Methoden. Dazu gehört auch die massenhafte Steuerflucht. Das von J. Galbraith in den 1950er Jahren formulierte Rossäpfeltheorem gilt damals wie heute: Werden die Rösser mit bestem Hafer gefüttert, bleiben für die Spatzen am Ende nur die Rossäpfel übrig. Es zeigt sich auch, dass wachsende Profitaneignung und damit steigende Armut und unzureichende Löhne die ökonomische Entwicklung belasten.
LL: Jede öffentliche Debatte landet derzeit früher oder später beim Thema Flüchtlinge. Nehmen wir das vorweg. Sie haben im Januar einen Beitrag zum „Preis der Integration“ geschrieben. Was ist dabei Ihre zentrale Botschaft?
Prof. Dr. Hickel: Als Ökonom zeige ich, dass sich die gesellschaftliche Verantwortung für die Integration der Flüchtlinge lohnt. Aber, auch wenn es nur zu ökonomischen Belastungen kommen würde, wäre die Integration unsere demokratisch humanitäre Aufgabe. Aber es zeigt sich, auch die ökonomischen Entwicklungschancen der multikulturellen Gesellschaft werden sich nach anfänglichen Kosten verbessern.
LL: Wir wollen beim Sozialgipfel aufnehmen, was uns Verbände und Interessierte mitgeben wollen. Was wird Ihre zentrale Botschaft an uns sein? DIE LINKE im Landtag – ist das sinnvoll?
Prof. Dr. Hickel: Meine Botschaft auf dem Sozialgipfel lautet: Wir brauchen viel mehr an Linker Politik, um aufzuklären, aber auch die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verbessern. Links heißt doch, mehr Demokratie und mehr Gerechtigkeit.
LL: Der Sozialgipfel NRW: Ein ganzer Tag mit Reden und Gesprächen über Politik. Wem würden Sie die Teilnahme empfehlen?
Prof. Dr. Hickel: Vor allem denen wünsche ich die Teilnahme, die an den neoliberalen Zauber einer optimalen Profitwirtschaft trotz erkennbarer Widersprüche immer noch glauben und sich daher dringend über Fehlentwicklungen informieren sollten.